Gedanken

Ein schöner Abend

(eine kleine Geschichte zum Thema Räuchern)


Wie jeden Abend genieße ich den aufsteigenden Rauch, der aus meinem Stövchen emporsteigt, in deren Mitte eine brennende Kerze steht, die selbst getrocknete Kräuter auf einem Sieb liegend verbrennt und Wolken, Tiere und andere Wesen emporsteigen lässt.


Mal lege ich Johanniskraut auf das Sieb, mal Fichtennadeln, mal Holunderblüten oder gar Gänseblümchen, die nicht mehr leben.


Sie tragen meine inneren Bilder ganz weit fort in ein besseres Leben ohne das Schattenreich des Krieges, der Gewalt, der Umweltprobleme, und da will ich heute Abend hin. Ich träume heute nicht von rettenden Prinzen, sondern von Meditation, vom Eins sein mit mir selbst. Und wenn ich die Wolken, Tiere und andere Wesen beobachte, spüre ich eine Liebe und Zufriedenheit in mir. Ich kämpfe nicht mehr ums tägliche Überleben.


Mittlerweile räuchere ich auch morgens. Jetzt habe ich zwei schöne Rituale in meinem Leben erobert, die ich tapfer verteidige. Ist aus meiner Sanftheit ein Krieger geworden, eine Eiche etwa?


Heute Abend verbinde ich mich wieder mit der Natur. Sie ist Innen und Außen und tanzt in dem aufsteigenden Nebel. Meine Dankbarkeit breitet sich aus, wie ein Feuer und mein Hass schrumpft zu einer Perle. Die Natur ist meine Mutter, die mich nährt und mir Luft zum Atmen schenkt.


Menschen steht auf und fangt an zu Räuchern, möchte ich in die Welt schreien und bin doch stumm wie ein Fisch.


Ich schließe die Augen und eine schöne Reise beginnt.

Ich laufe auf Beton und meine nackten Füße tun weh, bis sie einen Waldboden finden und sie nährt. Die Sonne versteckt sich hinter den Wolken. Meine Füße lieben beide. Sie suchen nach Heilung und Frieden.

Meine Augen entdecken ein scheues Reh, das Angst vor den Jägern hat. Es tut mir Leid. Bin ich nicht noch Bedauernswerter?

Ich sehe ganz viele Blätter, die an Bäumen hängen, wie Schmuck am Christbaum, sie schenken mir Sauerstoff. Jedes Blatt hat seine eigene Form, jeder Baum seine eigene Frisur. Ich war nie gerne beim Frisör.

Ich höre Musik und laufe ihr entgegen. Auf einer Wiese sitzt ein Mann im Schneidersitz und spielt Flöte. Da kommt ein Schatten und verschlingt den Menschen. Die Flöte bleibt in der Luft und spielt die schönsten Töne. Die Flöte fliegt in mein Gehirn und spielt ein Lied vom Frieden. Ich laufe und laufe. Ein riesiger Stein taucht vor mir auf und sagt stopp.


 Ich reiße erschrocken meine Augen auf. Und ich sitze wieder hier vor meinem Stövchen, die Kerze ist ausgegangen, die Kräuter verbrannt, der Nebel verschwunden und ich werde die Melodie des Friedens an alle Menschen schenken, die mir in die Augen blicken.



Judith Klare

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